Ödipuskomplex der Frau: Flucht aus dem Gender-Käfig
Ödipus, das war doch der, der seinen Vater erschlug und seine Mutter heiratete. Loriot drehte einen scherzhaften Film dazu. Aber was hat das mit unserem Leben heute zu tun?
Sprung in die Selbstständigkeit
Psychologe C. G. Jung führte für die weibliche Version des Ödipuskonfliktes den Begriff Elektrakomplex ein. Schließlich leiden nicht nur Jungen darunter. Und was verbirgt sich hinter den mythologischen Ausdrücken? „Beim Ödipuskomplex geht es um den Ablöseprozess des Kindes von den Eltern“, so Psychologe Volker Drewes. „Und zwar nicht nur bezogen auf seine sexuelle Orientierung, sondern aufs Selbstbewusstsein insgesamt.“ Kinder müssen also lernen, sich von Mutter und Vater zu lösen. Dazu gehört, dass sie die Position des gleichgeschlechtlichen Elternteils und dessen Anspruch auf Vater oder Mutter anerkennen.
Das funktioniert laut Drewes am besten über eine positive Identifikation. Für diese ist ein gutes Verhältnis der Eltern untereinander immens wichtig. „Nur so wird das Kind seinen Ödipuskomplex lösen können, weil es sich selbst als Einzelwesen empfinden kann und die Eltern als Paar annimmt.“ Dass wir als Kinder den Vater oder die Mutter mehr oder weniger bewusst anhimmeln, ist vollkommen normal und unserer Persönlichkeitsentwicklung sogar dienlich.
Der Konflikt wird zum Komplex
Heikel wird’s, wenn die Beziehung der Eltern untereinander nicht funktioniert. Manchmal werden die Kinder regelrecht instrumentalisiert, indem ein Elternteil sie gegen den anderen manipuliert. Auf diese Weise wird die Ablösung erschwert und die Geschlechterrollenentwicklung womöglich gestört. „Ein ungelöster Ödipuskonflikt wird zum Ödipuskomplex“, so Drewes. „Er äußert sich in vielfältigen Neurosen, wie Bindungs- oder Autonomieängsten. Der Ödipuskomplex ist der Kern bei einem Neurotiker.“ Die Herausforderung ist also die Ablösung, nur dann kann es bei Jungen wie Mädchen eine Entwicklung zur Autonomie geben. „Dafür müssen wir die Eltern als Paar anerkennen und die Vorherrschaft des gleichgeschlechtlichen Elternteils“, so der Psychologe. „Wenn dies nicht geschieht, gibt es neurotische Konstellationen innerhalb der Familie zwischen Mutter und Sohn oder Vater und Tochter oder aber die Entwertung der Eltern.“
Nicht immer steckt Ödipus dahinter
Mirja (28) musste sich schon häufig dumme Sprüche anhören, seit sie mit Claus (46) zusammen ist. „Ich mag ihn als Mensch und nicht, weil ich einen Vaterersatz brauche“, sagt sie genervt. Nicht jede Frau, die sich einen älteren Partner wünscht, muss zwangsläufig schlechte Kindheitserfahrungen haben. Es stimmt zwar: Viele Frauen, die die Vorherrschaft der Mutter nicht anerkennen und sich dadurch nicht mit ihrer eigenen weiblichen Rolle identifizieren konnten, suchen meist unbewusst nach einer Vaterfigur. Doch bei solchen Urteilen ist Vorsicht geboten: Es gibt durchaus auch gesunde Beziehungen zwischen jungen Frauen und älteren Männern.
Jan (34) gibt zu, dass er an seiner fünf Jahre älteren Ex die mütterliche Art besonders mochte. „Sie hat mir so ein Gefühl von Geborgenheit gegeben“, sagt der Verlagsleiter verlegen. Aber das wurde genau zum Problem: „Manchmal habe ich mich ihr gegenüber wie ein trotziger Junge benommen, eben so, als wäre sie tatsächlich meine Mutter. Deswegen hat sie sich von mir getrennt.“
Die Chance heißt Erkennen
Aha, also suchen Männer sich doch Partnerinnen, die ihrer Mutter ähneln? „Zum Teil schon“, bestätigt Volker Drewes. „Es muss sich dabei aber nicht um eine äußerliche Ähnlichkeit handeln. Vielmehr rufen diese Partnerinnen Kindheitssituationen wieder hervor. Und das ist mit alten Gefühlen und Ängsten verbunden. Etwas Altes wird neu belebt, das zu wiederholen hat für die Betroffenen etwas Zwanghaftes.“
Doch in jeder Wiederholung liegt eine Chance auf Veränderung und Weiterentwicklung. Wenn auch du das Gefühl hast, die alten Muster wiederholen sich bei der Partnerwahl oder du steckst innerhalb einer Beziehung immer wieder in denselben alten Rollen, dann ist das schon einmal der erste Schritt. Volker Drewes: „Die Einsicht hilft, uns aus den Mustern zu befreien. Wenn wir innerlich bereit sind, wird uns der Verzicht auf das illusorische Paradies der Kindheit gelingen.“ Auf diese Weise lösen wir unseren Ödipuskonflikt und sind offen für eine dauerhafte Beziehung.
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