Wann Selbstbetrug blockiert und was er anrichten kann
Klassischer Selbstbetrug: „Er trennt sich im neuen Jahr von seiner Frau“, prostet die langjährige Geliebte ihrer besten Freundin Silvester zu. „Ich bin glücklich als Unternehmensberater“, schwört ein Mann, der eigentlich lieber Kunst studiert hätte. Wir lügen uns in vielen Lebenssituationen in die Tasche. Dieser Selbstbetrug ist eigentlich ein Selbstschutz – der uns jedoch davon abhalten kann, wichtige Veränderungen in unserem Leben herbeizuführen. Besonders in einer Beziehung kann Selbstbetrug zu großen Problemen führen.
Das Credo des Selbstbetrugs: Bloß nicht hinschauen!
Ein Fall wie der von Ella, 38, ist typisch für Selbstbetrug in einer Beziehung. Sie führt schon seit zwei Jahren eine Affäre mit einem Mann, dem sie sich sehr nahe fühlt. Er steckt inmitten einer unglücklichen Ehe, sagt er. Er möchte seinen Kindern nicht wehtun. Noch nicht. Nächstes Jahr aber sicher, hat er ihr vor Weihnachten versprochen. Als Ella ihrer Freundin zuprostet und dabei von einem gemeinsamen glücklichen Jahr mit ihrer großen Liebe träumt, möchte sie sich gerne selber glauben.
Sie schützt mit der Selbsttäuschung ihre Investition von Gefühlen und Hoffnungen und weicht den Konsequenzen aus, die ein realistischer Blick auf die Tatsachen von ihr fordern würde. Sie wäre wieder Single. Würde sie den Selbstbetrug einsehen, müsste sie sich eingestehen, dass sie zwei wertvolle Jahre ihres Lebens verschenkt hat, obwohl sie sich doch noch eine eigene Familie wünscht. Indem sie den ehrlichen Blick auf ihre Situation abwehrt, schützt sie sich vor der Konfrontation.
Doch nicht nur in Beziehungen hat Selbstbetrug fatale Auswirkungen. Paul ist damals, als er sich für ein Studium entscheiden musste, nicht seinem Talent und seinen Träumen gefolgt, sondern der Empfehlung des übermächtigen Vaters. In seinem Job als Unternehmensberater bewegt er sich heute, mit Mitte 30, nur im Mittelmaß, weil die Leidenschaft fehlt. Das Malen hat er an den Nagel gehängt. Er leidet oft unter Rücken- und Kopfschmerzen und schiebt seine Beschwerden auf seine sitzende Tätigkeit. Ein weiterer Fall von klassischem Selbstbetrug.
Wer zu Selbstbetrug neigt
Die beiden Beispiele zeigen: Häufig ist nicht das gesamte Lebensgerüst eine Lüge, vielmehr lügen wir uns eher in bestimmten Lebensphasen und -bereichen selbst in die Tasche. Zu Selbstbetrug neigen besonders Menschen, die eher konfliktscheu sind und Angst haben, sich Herausforderungen zu stellen. Sie fürchten Rückschläge und können für die Beziehung wenig Vertrauen aufbauen, dass Veränderungen dafür sorgen, dass ihr Leben eine positive Wendung nimmt. Diese Psychologie der Selbsttäuschung steckt hinter vielen Fällen. Denn nicht alle Menschen kennen ihre Bedürfnisse und orientieren sich daher stark am Außenmaß. Reflektierte Menschen, die in ihrer Mitte ruhen, neigen eher weniger zum unehrlichen Umgang mit sich selbst.
Warum Selbstbetrug auch Selbstschutz ist
Doch welche Psychologie steckt eigentlich genau hinter diesem Muster? Wenn wie in Ellas oder Pauls Fall unsere Gefühle, Überzeugungen und Werte nicht mit unseren Handlungen zusammenpassen, entsteht ein unangenehmer Zustand, der als innerer Konflikt erlebt wird. Im Fachjargon nennt dieser sich „kognitive Dissonanz“. Der Druck, den eine Handlung wider der eigenen Einstellung auslöst, ist enorm. Er kann sogar körperliche Reaktionen hervorrufen – wofür der Betroffene sein Verhalten verantwortlich macht. Doch das führt schlicht und ergreifend zum Selbstbetrug.
Selbsttäuschungs-Psychologie: Sechs Schritte zum idealen Selbstbetrug
Um die Spannung zu reduzieren, streben wir danach, unsere Kognitionen so schnell wie möglich wieder in Einklang zu bringen.
- Wir leugnen Tatsachen
- Wir erklären unser Handeln im Nachhinein als unfreiwillig
- Wir spielen die Dissonanz herunter
- Wir führen die körperliche Erregung auf andere Ursachen zurück
- Wir reduzieren den physiologischen Aufruhr durch Überlagerung und Ablenkung von außen – beispielsweise über Alkoholgenuss, Zigaretten, Sport oder entspannende Tätigkeiten
- Die Selbstlüge wirkt wie ein Dämmstoff
Eigentlich handelt es sich bei Selbstbetrug also um einen Schutzmechanismus für unser Ego, das durch die Widersprüchlichkeit unseres Handelns und unserer Gefühlswelt aus dem Gleichgewicht zu geraten droht. Das Verdrängen bewahrt uns vor verletzenden Erkenntnissen und negativen Perspektiven. Diese Art der Psychologie wirkt wie ein Dämmstoff. Umso heikler ein Thema subjektiv für uns ist, desto größer der Widerstand, einen ehrlichen Blick darauf zu werfen. Doch nicht immer ist Selbstbetrug negativ zu bewerten: Paul hat gerade ein Kind mit seiner Frau bekommen, ein Haus gekauft. Jetzt seine Berufswahl in Frage zu stellen, wäre nicht der geeignete Zeitpunkt. Der geschönte Blick auf seine berufliche Situation hilft ihm durchzuhalten, bis der Nachwuchs aus dem Gröbsten raus ist und seine Frau wieder in den Job einsteigt. Dann wäre der Zeitpunkt günstiger, eine Neuorientierung zu wagen.
Wann Selbstbetrug negative Auswirkungen hat
„Jeder Mensch steht vor der Wahl, den leisen, zweifelnden Stimmen Aufmerksamkeit zu schenken oder wegzuhören. Sobald aber das Ignorieren der kritischen Gedanken mehr Kraft kostet als das Wahrnehmen, schadet es, sich weiter zu belügen. Vor allem, wenn sich der innere Zwiespalt bereits in psychosomatischen Beschwerden zeigt“
Lisa Fischbach, Psychologin und Forschungsleiterin bei ElitePartner
Weiterhin stellt unsere Expertin zum Thema Selbstbetrug fest: „Die ursprünglich schützende Abwehrhaltung kann dann persönliches Wachstum hemmen und dazu führen, dass wir uns selbst im Realisieren unserer Wünsche und Vorstellungen vom Leben im Wege stehen“.
In Ellas Beispiel hat sie mit 38 noch die Chance, ihrem verheirateten Freund den Laufpass zu geben, um mit einem bindungswilligen Mann eine Familie zu gründen – wenn sie nicht zulässt, dass die Beziehung von Selbstbetrug dominiert wird. Verschließt sie zwei weitere Jahre die Augen vor der Realität, in der sie doch immer nur zurücksteckt, schwindet die Möglichkeit, eigene Kinder zu bekommen langsam aber sicher. Soziologin Eva Illouz beschreibt die ausbeuterischen Auswirkungen von Selbstbetrug in der Zeitschrift Das Magazin so: „Wir lügen und betrügen uns selbst, so wie ein gieriger und geiziger Mensch aus der eigenen Truhe stiehlt, um eines Tages entsetzt zu entdecken, dass sein Vermögen verschwunden ist“.
Fragen, mit denen du einem möglichen Selbstbetrug auf die Schliche kommst:
- In welchen Lebenssituationen fühlst du dich unbehaglich oder reagierst sogar körperlich mit beispielsweise Bauchschmerzen?
- Ob im Büro oder bei der privaten Bitte um Hilfsbereitschaft – hast du Probleme nein zu sagen? Wann hast du zuletzt ja gesagt und dabei deine eigenen Bedürfnisse, die ein Nein gefordert hätten, ignoriert?
- Demonstrierst du häufig gute Laune, aus Sorge, Menschen könnten dich nicht mögen, wenn du deine echten Gefühle zeigst?
- Neigst du dazu, dir Dinge schönzureden, musst aber später feststellen, dass es sich um Selbstbetrug handelt?
- Hast du Schwierigkeiten, konkrete Lebensziele zu formulieren?
- Erwischst du dich auch bei Kleinigkeiten wie Verabredungen dabei, dass du dich lieber nicht festlegst, sondern „herumeierst“?
Der Wendepunkt für Selbstbetrug in jeglicher Beziehung
So gute Lügner sind wir dabei gar nicht, dass wir den Selbstbetrug unbemerkt über die Bühne bringen könnten. Die eigentliche Wahrheit schlummert in uns und meldet sich immer mal wieder in Form zweifelnder Gedanken. Wir neigen dazu, diese wegzuwischen und mit gegenteiligen Behauptungen zu kompensieren. „Ich habe ja selber Angst vor zu viel Nähe“, erzählt Ella ihrer Freundin bei einem Glas Wein. „Deshalb ist es schon in Ordnung, dass Frank sich Zeit nimmt für seine Trennung“. Die darauffolgenden Fragen ihrer besorgten Freundin will sie nicht hören – eine klassische Reaktion, die aus der Selbsttäuschungs-Psychologie resultiert, die dahintersteckt. „Ich will da jetzt nicht weiter drüber reden, das ist mir alles zu viel“.
Wenn jedoch die kritischen Stimmen aus unserem Inneren lauter werden, weil der Selbstbetrug nicht länger aufrecht zu erhalten ist, wird so mancher Betroffener doch hellhörig. Auch das Gespräch mit Freunden kann dabei die Erkenntnis auslösen. Oft stoßen Betroffene nämlich nicht freiwillig auf ihr Kartenhaus aus Lügen. Ein Sturz oder eine Erkrankung können Signale des Unbewussten sein, das zu einer neuen Perspektive auffordert. Diese einzunehmen, ist ein Riesenschritt.
Fazit: Ehrlichkeit ist gesünder als die heile Welt des Selbstbetrugs
Wenn du ahnst, dass du in manchen Bereichen des Lebens der eigenen Täuschung verfällst, solltest du Folgendes versuchen: Schreib eine bestimmte Situation so auf, als wäre es ein Problem deines Freundes, der dir davon berichtet. Das schafft Abstand zu den eigenen Gefühlen. Was würdest du deinem Freund raten? Der ehrliche Blick lohnt sich. Denn zu Selbstbetrug hat Bonelli eine deutliche Antwort: „Lügen bringt Stress“. „Aber Ehrlichkeit tut weh“, könnte Ella erwidern. Doch auch darauf hat der Psychotherapeut eine Antwort. „Manchmal braucht es diesen Schmerz, da die Wahrheit befreit. Sie kann Durchbruch zu einem gesünderen Selbstbild sein“.
Dass Ehrlichkeit sich tatsächlich auch positiv auf die Gesundheit auswirkt, bewiesen Forscher der University of Notre Dame. Wer anderen gegenüber ehrlich auftritt und Alltagslügen so gut wie möglich reduziert, leidet weniger unter Gesundheitsbeschwerden, zum Beispiel Halsweh oder Kopfschmerzen. Selbstbetrug kann also wirklich krankmachen. „Diese Erkenntnisse sind auch auf die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber übertragbar“, so Lisa Fischbach. „Wer aufrichtig mit sich selbst umgeht, wächst in seiner Persönlichkeit und hat zudem weniger mit psychosomatischen Erkrankungen zu kämpfen“.
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