„Ich bin depressiv“: Umgang mit psychischen Erkrankungen bei der Partnersuche
Depression, Burnout, soziale Phobie: Krankheiten wie diese sind verbreitet. Jeder dritte Deutsche erkrankt laut Robert-Koch-Institut im Laufe seines Lebens an einem psychischen Leiden. Gar nicht so ungewöhnlich also, dass auch bei der Online-Partnersuche gefährdete, akut betroffene und gesunde Singles aufeinander treffen. Die Frage ist nur: Was gilt es bei diesen Konstellationen zu beachten?
Panikattacken statt Partystimmung
Dass der Humor von Lutz, 39, und Sina, 32, wie die Faust auf’s Auge passt, war beiden schon nach den ersten Mails klar. Vom WM-Fieber ergriffen, schlug Sina spontan vor: „Lass uns doch beim Public Viewing treffen!“ Sie konnte ja nicht wissen, dass Lutz an Klaustrophobie leidet, der Angst vor Einengung. Menschenansammlungen bedeuten für ihn Panikattacken statt Partystimmung. Rausrücken wollte er damit aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Stattdessen antwortete er: „Lieber tagsüber auf einen Kaffee.“ Zwei Tage später strahlten sie mit der Sonne um die Wette, als sie sich an Hamburgs Tanzenden Türmen trafen, um in das Bistro im Erdgeschoss einzukehren. „Super“, dachte Lutz. Bis Sina ihn in Richtung Fahrstuhl schob: „Die Dachterrasse der Bar im 24. Stock hat neu eröffnet. Die würde ich dir gerne zeigen!“ „Dann müsste ich dir leider zeigen, was Schnappatmung ist. Lass uns doch einfach ebenerdig ein Eis essen gehen… Ich erklär’s dir dann!“
„Das Schlimmste ist, seine Krankheit zu verstecken“
Lutz kennt seine Krankheit. Oft vergisst er jedoch, dass sie überhaupt da ist. Aber sobald der Raum um ihn herum schrumpft, kommt die Panik. Aus seiner Therapie weiß er, dass er sich nicht gut von anderen Menschen abgrenzen kann und daher die Angst rührt, sinnbildlich eingeengt zu werden. Langjährige Beziehungen hatte er trotzdem schon, in denen er immer offen mit seiner kleinen Beeinträchtigung umgegangen war. Eine neue potentieller Partnerin muss natürlich ebenfalls von seinem Handcap bei der Partnersuche erfahren. Sina wusste es schon nach dem ersten Date – es hatte sich so ergeben. Und sie fand dies in keiner Weise befremdlich. Das nächste Mal würde sie einfach die Treppen zum 24. Stock vorschlagen. Das wäre eine Lösung und auch noch gut für die Fitness.
„Das Schlimmste, was man tun kann, ist, seine Krankheit verstecken zu wollen“, schreibt eine 45-jährige Frau in diesem Thread im ElitePartner-Forum. Sie leidet unter einer generalisierten Angst- und Zwangsstörung. „Meinem Mann habe ich gleich zu Anfang die Fakten auf den Tisch gelegt, nicht um ihn zu verschrecken […], sondern um Klarheit zu schaffen. […] Dieses krampfhafte ‚Normal-sein-Wollen’ zerrt zusätzlich an den Nerven und verleitet zum Lügen, zu Ausflüchten usw.“ Doch der richtige Zeitpunkt, Klartext zu sprechen, hängt auch von der Art der Krankheit ab. Eine 28-jährige Betroffene schreibt: „Dass ich Depressionen habe, würde ich in der Date-Phase niemals sagen. Auch nicht, dass ich in Psychotherapie bin. Dazu braucht man Vertrauen. Das würde ich erst sagen, wenn sich eine ernsthafte Beziehung anbahnt, das dauert in der Regel mehrere Wochen. Ich finde aber, wenn man eine schwere psychische Erkrankung hat, sollte man das doch früher ansprechen. Ich rede hier von Suchterkrankungen, Manie, Zwangsstörungen etc.“
Diplom-Psychologin Lisa Fischbach bestätigt: „Eine Offenbarung über ein psychisches Leiden ist sehr persönlich und sollte erst angesprochen werden, wenn es sich für den Betroffenen nach dem richtigen Moment anfühlt. Dies ist individuell und auch abhängig von der Krankheit und den Einschränkungen, die diese im Alltag mit sich bringt. Wenn eine Situation erklärungsbedürftig ist, sollten Sie sich als Betroffener nur möglichst nicht zu Verschleierungstaktiken hinreißen lassen, denn dann könnte sich Ihr neuer Partner im Nachhinein getäuscht fühlen.“
Dating trotz akuter Depression: „Schlimm für alle Beteiligten“
Viele Menschen wissen jedoch gar nicht, dass sie krank sind. Entweder sind sie sich der Bedeutung ihrer Symptome zu wenig bewusst oder verdrängen komplett, dass etwas nicht stimmt. Wer in dieser Phase versucht, über Online-Dating eine neue Liebe zu finden, muss wie eine 49-jährige Userin jedoch mit Ernüchterung rechnen. „Vor ca. drei Jahren bin ich mit einer Major Depression als Notfall für mehrere Monate in die Klinik gekommen. In der Zeit davor habe ich sehr wohl gedatet – ich war mir meiner Krankheit nicht bewusst. Dementsprechend schlimm waren die Beziehungsversuche für alle Beteiligten.“ Wenn ein Partner als Rettungsanker dienen soll, statt gleichberechtigter Partner sein zu dürfen, führt dies schnell zur emotionalen Überforderung. So ist zum Beispiel die akute Phase einer Depression oder sonstigen schweren psychischen Erkrankung keine Basis für den Start einer neuen Partnerschaft, wie auch Lisa Fischbach bestätigt. „Betroffene einer akuten Depression sind emotional oft sehr reduziert und verfügen somit nicht über die persönlichen Ressourcen, eine Beziehung zu einem anderen Menschen aufzubauen. Wer erfolgreich in Therapie und medikamentös gut eingestellt ist, hat jedoch wie jeder andere auch die Chance auf eine glückliche Partnerschaft.“ Dies gilt selbst bei einer schweren psychischen Störung wie einer Psychose. Tanja, heute 32, war 18 Jahre alt, als die Diagnose Schizophrenie ihr Leben erschütterte. Doch sie reagierte ideal auf die medikamentöse Therapie, war 95% symptomfrei und so schaffte sie dennoch Ausbildung und Studium.
Heute ist sie verheiratet. Die Tabletten ließen zwar ihr Gewicht steigen und auf Alkohol muss sie verzichten. Aber das sind Einschränkungen, mit denen sie gut leben kann, auch in einer Partnerschaft.
Wortwörtlich eine Frage der Einstellung
Allerdings ist nicht nur die ideale Dosierung der Medikamente für Betroffene entscheidend, ob sie eine Beziehung eingehen können, sondern auch die „Einstellung“ des Gegenübers. Bei der Partnersuche mit Handicap fühlt sich nicht jeder einem Partner mit psychischen Beeinträchtigungen gewachsen. Schließlich kann im Laufe einer Beziehung auch eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes eintreten und den anderen vor neue Herausforderungen stellen. Dann ist es gut, vorher geklärt zu haben, ob der andere bereit ist, im Ernstfall eine starke Schulter zu bieten. Nicht jeder fühlt sich dazu in der Lage – und auch das ist in Ordnung.
Eine 41-Jährige konstatiert: „Ich würde keinen Menschen mit Depressionen etc. daten, da es mich selbst zu sehr herunterziehen würde, und ich jemanden brauche, der mit beiden Beinen fest im Leben ist.“ Eine andere Nutzerin schreibt: „Nichts gegen einen überstandenen Burnout, kann jedem passieren, nur sollte ich mein Leben erst klären, ausgeglichen mit mir selbst, möglichst reflektiert sein, bevor ich das „Tüpfelchen“ auf dem I suche. Liebe bedeutet Verbundenheit, besonders mit sich selbst.“ Ein Mann, 47, hat seine ursprünglichen Vorbehalte hingegen überwunden: „Mittlerweile habe ich eine Frau kennengelernt, die mir auch recht schnell, noch vor unserem ersten Treffen, sagte, dass sie unter Depressionen leidet, aber medikamentös eingestellt ist. Ich habe diese Frau kennengelernt und ich habe keine Unterschiede zu anderen Menschen festgestellt. […] Mit dieser Erfahrung würde ich heute solche Menschen nicht mehr von vornherein ablehnen, sondern erst einmal kennenlernen.“
Fazit: „Warum sollte man/frau mit psychischer Vorbelastung nicht in Kontaktbörsen daten? Es gibt viele, die unterwegs mit irgendwelchen Problemen sind. […]“, resümiert ein Forenteilnehmer. Wer sich als Betroffener stabil genug fühlt, eine neue Partnerschaft einzugehen, findet im Online-Dating eine geeignete Plattform, um neue Kontakte zu knüpfen. Wichtig ist allerdings, sich und die Einschränkungen der Krankheit im Alltag nicht hinter dem anonymen Profil zu verstecken. Auch, wenn Begriffe wie Burnout heute in aller Munde sind, hegen viele Menschen Vorurteile gegenüber psychisch Kranken. Ein Betroffener schreibt: „Es wäre so einfach, wenn man z.B. nur das Bein gebrochen hätte. Mit psychischen Problemen kriegt man von der Gesellschaft immer noch ein Stigma verpasst […].“ Offenheit und Toleranz seitens gesunder Singles zahlt sich jedoch aus. Welcher Mensch ist schon vollständig frei von psychischen Problemen? Oft setzt eine psychische Erkrankung bei Betroffenen ein höheres Maß an partnerschaftsrelevanten Eigenschaften wie Empathie und Sensibilität frei. Lernt euch doch einfach einmal kennen!
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